«Ich habe gerne den Knüppel in der Hand»
Fabienne Hadorn steht seit über 25 Jahren auf der Bühne. Die 49-jährige Zürcherin, die in Muri (AG)
auf die Welt kam, spricht über ihre erstaunliche Vielseitigkeit, die ADHS-Diagnose und verrät,
wo im Aargau ihre geliebte Hinterwäldler-Ecke liegt.
Text: Stephan Santschi Bilder: Tabea Guhl und Linda Käsbohrer
Für Fabienne Hadorn war als Kind bereits klar, dass sie auf die Bühne will. Heute ist sie als Schauspielerin, Comedienne, Sängerin, Tänzerin, Texterin, Sprecherin und Regisseurin tätig und aktuell auch in der «Sendung des Monats» auf SRF zu sehen.
«Das Landei zog in die Stadt», sagten Sie einst über sich. Wie macht sich die Aargauerin in Zürich?
Fabienne Hadorn: Ich bin mittlerweile ziemlich urbanisiert. Ich kam in Muri auf die Welt, doch ich bin eine Zürcherin, wuchs in Affoltern am Albis auf. Bei meinen Grosseltern im Aargau war ich sehr gerne, Uezwil ist meine Hinterwäldler-Ecke, dort gefiel es mir wahnsinnig gut. Die Bodenständigkeit und das Unkomplizierte habe ich mir bewahren können.
War für Sie schon als Kind klar, dass Sie Schauspielerin werden wollen?
In der ersten Primarklasse beantwortete ich diese Frage tatsächlich mit Schauspielerin. Ich spielte sogar eine kleine Szene, ich war Schneewittchen, das den Jäger überredete, es nicht umzubringen. (lacht laut).
Woher wussten Sie, dass Sie das nötige Talent haben?
Ich war immer der Klassenclown, oder amüsierte an Familienfeiern die Leute. Bis ich den Weg einschlug, dauerte es aber eine Weile. Ich war 16 Jahre alt und an der Kanti, als ich mich für einen Theaterkurs bei Stefan Haupt einschrieb. Das war das Initiationserlebnis. Diese coole Art der Improvisation hat mir wahnsinnig gut gefallen. Alles, was ich in der Gesellschaft und in der Schule zurückhalten musste, konnte raus.
Was fasziniert Sie an dieser Branche?
Freischaffend zu sein, nicht in ein System passen zu müssen und mich mit vielen Standbeinen selbst aufzustellen, entspricht meinem Naturell. Es sorgt zwar für Stress und bedarf viel Organisation, aber ich habe die Abwechslung gerne. Ich will mich nicht festlegen, nicht nur Schauspielerin sein. Auch Musik, Humor, Bewegung und Tanz gehören dazu – als ADHS-Betroffene kann ich halt nicht ruhig sitzen. Und: Als Schauspielerin bin ich ein Werkzeug anderer, deshalb begann ich selbst Regie zu führen. Ich kreiere gerne, habe den Knüppel gerne selbst in der Hand.
War der Einstieg hart?
Ich hatte Glück, an der Theaterhochschule in Zürich mit Niklaus Helbling einen mega-tollen Dozenten zu haben – er war mein Theater-Papi. Danach verliebte ich mich in die freie Theaterproduktion, «Mass & Fieber» war ein super Einstieg. Ich stiess meine Hörner ab und wurde gross. Ich machte mich selbstständig und hatte mit «Kolypan» 20 Jahre lang extremen Erfolg. Ich ging nicht ans Burgtheater in Wien oder auf die Volksbühne in Berlin, um jemandem nachzueifern, sondern meinen eigenen Weg. Im Bewusstsein, dass ich mich und die Welt auf jeder grossen Bühne unterhalten kann.
Heute sind Sie Schauspielerin, Comedienne, Sängerin, Tänzerin, Texterin, Sprecherin und Regisseurin. Eine Allrounderin aus Leidenschaft oder zu wenig gut, um sich zu spezialisieren?
Ich hätte mich schon spezialisieren können. Hätte ich auf Musik gesetzt, wäre ich eine geile Sängerin geworden. Oder ich hätte im Stadttheater, Film oder Kino die fettesten Rollen gespielt. Aber: Ich wollte das einfach nicht. Anfragen zu Musicals beispielsweise habe ich immer abgelehnt, weil ich dann sehr viel spielen müsste und daneben nichts anderes mehr machen könnte. Wenn ich verschiedene Skills beherrsche, ist dies ja auch eine Art der Spezialisierung.
In einer Kritik bezeichnete man Sie als «komödiantischen Wildfang mit einem Unterhaltungswert ohne Grenzen». Wie machen Sie aus Ihrer Energie eine Qualität?
Das frage ich mich manchmal auch. Ich stehe schon mal neben mir und denke: «Jetzt hast du aber richtig abgeliefert, du warst extrem professionell.» Dabei habe ich mir nie strukturiert diesen oder jenen Skill angeeignet, ich gehe einfach mit viel Lust und sehr wild in alles rein. Irgendwann hast du deinen Rucksack gefüllt und weisst, wie der Hase läuft.
Im Jahr 2023 feierten Sie auf der Bühne Ihr 25-Jahr-Jubiläum. Seither scheinen Sie mit der Soloshow «Kaboom-Room», der «Sendung des Monats» auf SRF und dem Landschaftstheater Ballenberg noch mehr Fahrt aufzunehmen.
Davon bin ich selbst überwältigt. Es steckt kein Masterplan dahinter, es passiert einfach. Wenn man am Arbeiten ist, wird man weiterempfohlen, man hat Ideen und lernt neue Ideen kennen. Dieses Jahr war aber wirklich heavy, sehr stressig.
Weshalb gibt es im Schweizer Fernsehen keine einzige Frau mit einer Comedy-Sendung?
Es ist tragisch. Doch auf SRF gibt es nun Ideen zu vielen neuen Formaten, und so hoffe ich, dass sich diese Schieflage etwas ausgleichen wird. Wir haben neben Patti Basler viele tolle Frauen wie Martina Hügi, Reena Krishnaraja, Jane Mumford oder Jovana Nikic, die einen ganz anderen Drive reinbringen. Mir ist aber lieber, wenn die Leute sie live anschauen gehen. Generell ist die Comedy-Szene nämlich ein schwieriges Business. Sie ist zwar am Kommen, noch schaffen wir es aber nicht so recht aus der verstaubten Kleinkunstecke raus. Zu wenige kommen zu uns in die Shows.
Wie sollte die weibliche Komik funktionieren? Mit weniger Pointendruck als bei Männern?
Ich finde es lässig, wenn Frauen Geschichten erzählen, wenn die Leute etwas mit nach Hause nehmen. Mit meinen Künstlerinnen arbeite ich an einem nachhaltigen, komödiantischen Content, an Situationen, die den Menschen im Leben begegnen. Viele Frauen haben diese Art des Storytellings super drauf.
Gab es für Sie persönlich einen schmerzhaften Lehrblätz?
Als junge Frau bekommst du in patriarchalischen, hierarchischen Strukturen wenig Gehör und musst machen, was gewisse Typen sagen. Da bist du in Castings auch mal die Geliebte oder das leichte Mädchen, und wirst von den Regisseuren entsprechend behandelt. Das Gute an ADHS ist, dass sich Betroffene nicht in ein System zwängen lassen. Das half mir, nicht in toxische Arbeitsverhältnisse reinzukommen. Ich konnte jeweils schnell nein sagen.
Im letzten Februar haben Sie sich offiziell eine Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, diagnostizieren lassen. Weshalb liessen Sie es abklären?
Ich hätte es nicht wissen müssen, es war sowieso klar. Doch aus der Diagnose ergeben sich interessante Flashbacks auf mein Leben, inwiefern ADHS positiven oder negativen Einfluss hatte. Nun hilft mir die Diagnose im Alltag, weil ich weiss, dass es eine Neurodivergenz ist, die mich plagt. Den meisten ADHS-lern ist es wichtig, dass das Umfeld Bescheid weiss und Verständnis hat, wenn man entweder alles verhühnert oder es genial auf den Punkt bringt. Ich bin froh, hatte ich als Kind keine Medikamente und habe meinen Weg machen können. Ich bin im Frieden mit meiner ADHS.
Wie machte sie sich negativ bemerkbar?
Brutal ist, wie das Zwischenmenschliche darunter leidet. Menschen in der Familie, in der Freundschaft oder im Beruf hätte ich erklären können, dass das Problem in meinem Kopf ist. Dass es nichts mit ihnen zu tun hat, wenn ich etwas vergesse. Jene, die wollen, können aber damit umgehen, man zieht sich gegenseitig an. Wohl deshalb bin ich nun mit einem Mann aus dem autistischen Spektrum zusammen.
Hatten Sie das Gefühl, nicht nur anders, sondern falsch zu sein?
Ja, in diesem System aus Schule und Arbeit fühlte ich mich zuweilen völlig neben den Schuhen, ich wurde belächelt. Das macht etwas mit dir.
Heute wirken Sie voller Selbstvertrauen.
Menschen mit ADHS lernen, selbstsicher rüberzukommen. Die meisten sind es nicht. Der Clown, der hinter der Bühne weint – dieses Bild trifft auf viele ADHS-ler zu.
Stört Sie die Leistungsgesellschaft, die sich auf materielle Werte ausrichtet?
Das ist mega störend, ja. Man sieht an so vielen Fronten, wie ungesund dieser Fokus auf Leistung ist. Viele Menschen sehen die künstliche Intelligenz dystopisch, doch ich bin zuversichtlich, dass sie uns hilft, von der Bürokratie und dem Leistungsgedanken wieder mehr ins Gemeinschaftliche zu kommen. Viele haben Angst vor der KI, weil sie fürchten, dass Arbeitsplätze wegfallen. Ich hingegen glaube, dass auf diese Weise neue Arbeits- und Lebensformen entstehen können.
Wie entspannen Sie?
Ich mache zu Hause viel Meditation und Yoga, ich gehe ins Tai Chi, Wing Chun und Ballett. Zudem habe ich gelernt, wie wichtig es ist, sich mit den Kindern und dem Partner zurückzuziehen. Nach Ferien oder einem neuen Projekt baue ich nun ein, zwei Puffertage ein, das hatte ich früher nicht.
Welche Projekte stehen bei Ihnen als nächstes an?
Das Thema ADHS wird mich auch auf der Bühne weiterhin begleiten. Ich möchte den «Kaboom Room» zu einer grösseren Geschichte mit Künstlern aus diesem Spektrum machen – mit einem komödiantischen und einem tiefgründigen, psychologischen Teil. Auch an einer entsprechenden Kino-Dokumentation arbeite ich mit. Und irgendwann werde ich zu alt sein, um in der Gegend herumzukesseln. Dann könnten die Leute zu mir kommen, in ein Haus auf dem Land, für Aufführungen, Kurse oder Kindertheater. Dann hätte ich mein eigenes, kleines Utopielabor.
Zur Person
Fabienne Hadorn, 49, kam in Muri AG auf die Welt. Sie erwarb das Handelsdiplom und schloss die Theaterhochschule Zürich ab. Seither ist sie als Schauspielerin, Comedienne, Sängerin, Tänzerin, Texterin, Sprecherin und Regisseurin tätig. Sie gründete die Theatergruppe Kolypan, arbeitete unter anderen am Theater Basel, Schauspielhaus Zürich, Casinotheater Winterthur, Schauspiel Köln und an den Salzburger Festspielen, in TV- und Radioproduktionen, sowie in Kinofilmen.
Aktuell ist sie als Comedienne bei «Die Sendung des Monats» auf SRF dabei und startete im November 2023 mit ihrer Solo-Show «Kaboom Room», zudem trat sie im Landschaftstheater Ballenberg auf. 2014 erhielt sie den Schweizer Theaterpreis als «herausragende Schauspielerin», 2018 den Ensemblepreis an den Swiss Comedy Awards als Regisseurin (Bundesordner). Sie ist Mutter zweier Töchter und lebt in Zürich, wo sie auch abenteuerliche Stadtführungen anbietet.
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