«Keiner hat Mut für Aussergewöhnliches»
Marco Bliggensdorfer alias Bligg gastiert am 7. Juni im Wettinger Tägi. Der 47-jährige Zürcher Mundart-Sänger spricht über seine Familie, sein neues Album «Tradition» und er verrät, wofür er zu Hause fast keinen Platz mehr hat.
Interview: Stephan Santschi Bild: zVg.
Sie sind wieder solo unterwegs, die Zusammenarbeit mit Marc Sway als «Blay» ist beendet.
Bligg: Es war von Anfang an klar, dass wir wieder auf unseren eigenen Pfaden gehen werden. Ich hatte Marc 2018 als Gast auf meinem Album, seitens der Fans stand schon lange im Raum, dass wir mal mehr als nur einen Song zusammen machen. Als Corona kam, waren unsere Agenden auf null und wir hatten Zeit dafür. Es war ein Jahresprojekt, dass letztlich zwei Jahre gedauert hat.
Was nehmen Sie an positiven und negativen Eindrücken mit?
Für uns Künstler war Corona eine sehr schwierige Zeit, das muss ich nicht erklären. Wir sind beide dafür bekannt, dass wir Livequalitäten mitbringen. Dass wir nicht live spielen konnten, nagte an uns. Die Abwechslung hingegen war positiv. Wir verbringen mit dem Songwriting und der Planung sonst viel Zeit alleine. Diese Arbeit für einmal zu teilen, für einmal auf der Bühne nicht alleine während 90 Minuten Vollgas zu geben, tat sehr gut. Wir lachten sehr viel, es war wie ein kleines Klassenlager.
Im Zeitalter von Spotify ist es normal, dass man querbeet Musik hört. War dies früher anders?
Absolut. Ich komme aus einer Generation, in der die Musik und die damit verbundenen Lifestyles durch Genres getrennt wurden. Auch in den Klubs lief entweder dies oder das. Das Internet und die Globalisierung brachten alles zusammen. Das genreübergreifende Experiment, das ich 2008 machte, ist quasi zu einem fixen Bestandteil geworden.
Was halten Sie von Spotify?
Fluch und Segen zugleich. Der Segen dabei ist, das durch die Streaming-Technologie wie Spotify oder Apple relativ einfach und schnell Musik veröffentlicht werden kann. Was zum Fluch führt, dass sich in den letzten Jahren durch die vielen Veröffentlichungen ein enormer Werteverfall bemerkbar gemacht hat.
Weshalb war das Album «0816» im Jahr 2008 mit der Streichmusik Alder, diese Symbiose aus Hip Hop und Volksmusik, Ihr Durchbruch und nicht, wie Sie zunächst befürchteten, Ihr Tod als Musiker?
Das Internet war etabliert, und damit auch die Akzeptanz, dass Sachen zusammenkommen. Kontraste sind in der Kunst ein gesundes Stilmittel. Wenn man auf einem Bild einen Rocker mit einem Baby auf dem Arm sieht, macht das etwas mit einem. Rap war nicht populär, es war die Volksmusik der Jungen, die auf Ablehnung stiess. «Volksmusigg» war dabei der Schlüsselsong dieser neuen Art Musik, die ebenfalls viele traditionelle Werte enthält. Ich entwickelte einen komplett eigenen Sound. Man sagt mir nach, dass ich das erreicht habe, wovon jeder Künstler träumt: Einen eigenen musikalischen Fingerabdruck zu schaffen.
Wie hat sich das Ansehen der Mundart-Musik seither entwickelt?
Ich musste in den Nullerjahren dafür kämpfen und immer wieder erklären, weshalb ich nicht auf Englisch sang. Für die junge Generation ist es mittlerweile aber selbstverständlich. In den Schulunterlagen finden sich Dutzende von Mundart-Songs, die zu einem Kulturgut geworden sind. Wir haben einen sehr bunten Markt mit viel Potenzial, der durchs Internet allerdings etwas geglättet wird und Gefahr läuft, in einen Einheitsbrei abzurutschen. Keiner hat aus Angst vor einem Shitstorm mehr den Mut, etwas Aussergewöhnliches zu machen.
Was wollen Sie mit dem neuen Album «Tradition» ausdrücken?
Ich führe durch einen akustischen Film aus Kurzgeschichten, die mal spannend, lustig oder traurig sind. «Liebi repariere» handelt etwa von einem Typen, dessen Beziehung in die Brüche geht. Also geht er in den Baumarkt und kauft sich Dinge wie eine Wasserwaage, um den Haussegen zu richten. In «Soldat» gehe ich auf die geopolitische Lage ein und vergleiche sie mit den Problemen der Ersten Welt. Der Soldat im Schützengraben wacht in der behüteten Schweiz auf, wo man sich Sorgen darüber macht, ob das Zalando-Paket schon angekommen ist.
Im Song «Fabienne» besingen Sie mit Ihrer Partnerin erstmals eine echte Person. Weshalb?
Rückblickend betrachtet, ist unsere Geschichte filmreif. Sie arbeitete auf der Bank, dort lernten wir uns kennen, als ich nach meinen Auftritten jeweils die Zehnernoten im Schuhkarton auf die Bank brachte. Nur ihr Banküberfall im Song ist erfunden (schmunzelt). Fabienne erlebte meinen Aufbau als Musiker mit. Danach verloren wir uns aus den Augen, ehe es vor ein paar Jahren gefunkt hat.
Früher machten Sie Musik, um jungen Girls zu gefallen. Und heute?
Weil Musik nach wie vor meine Passion ist, ich plane und mache weiterhin gerne Shows. Weil ich mir eine Fanbase aufgebaut habe und es ausleben kann. Weil ich etwas zum Kulturgut beitrage, und weil die Musik das Essen für meine Kinder auf den Tisch bringt. Zudem nehme ich junge Künstler wie Aaron Asteria unter Vertrag. Diese Stimmgewalt habe ich in der Schweiz noch nicht gehört.
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