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«Ich finde es fast frech, nur zu zaubern»

Wenn Marc Haller die Bühne betritt, macht er eine Metamorphose durch, dann übernimmt «Erwin aus der Schweiz» die Kontrolle. Im Interview spricht der 38-jährige Zürcher über seinen amüsanten Mix aus Zauberei und Komödie, er erklärt, weshalb seine fünfjährige Tochter Suvi seine grösste Kritikerin ist, und er verrät, welchen neuen Beruf er derzeit erlernt.


Privat seien Sie nicht lustig, sagten Sie mal. Waren Sie nicht schon in der Schule der Klassenclown?

Marc Haller: Doch, das schon. Auch wenn die Lehrer das nicht so sahen, für sie war ich anstrengend. Mittlerweile lebe ich mich seit 15 Jahren auf der Bühne aus, und brauche es im Privaten etwas weniger zu tun. Allerdings habe ich es weiterhin mega gerne lustig. Schauen Sie auf erfolgreiche Leute in der Wirtschaft: Sie sind oft sehr entspannt, tragen ein Lächeln im Gesicht. Wer zu ernst ist, der verkrampft, und dafür ist das Leben doch zu kurz.


Wie fanden Sie heraus, dass Ihr Platz auf der Bühne ist?

Das hätte ich früher nicht gedacht. Ich spielte zwar im Schultheater, aber nicht im Sinne von: «Wow, der gehört mal auf die Bühne.» Ich hatte mehr Freude am Zaubern, darauf erhielt ich immer wieder gute Feedbacks. Später, an der Schauspielschule in New York, hörte ich, dass man lachen müsse, wenn ich auf die Bühne komme, auch wenn ich eine ernste Shakespeare-Rolle spielte. Und so kristallisierte er sich heraus, dieser Mix aus Zauberei und Leute zum Lachen bringen.


Welches Poster hing in Ihrem Zimmer?

Neben einem Poster aus dem Playboy jenes von Michel Gammenthaler und Pat Perry. Später, am Konservatorium in Wien, war für mich Josef Hader der Grösste.


Und von was haben Sie damals geträumt?

Michel war mein Vorbild. Bei ihm bestand die Zauberei nicht nur aus Tricks. Er war einer der Ersten, der sie mit einer Geschichte verband und auf die Theaterbühne hob. Mein grösster Traum war es, das auch zu können und davon zu leben. Umso schöner ist es, dass er in meinem aktuellen Programm die Co-Regie führt.


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Marc Haller alias «Erwin aus der Schweiz» – Zauberer, Komiker und Familienmensch.


Wie ist es, mit Ihrem Idol zusammenzuarbeiten?

Er ist nicht mehr mein Idol, weil ich erwachsen geworden bin, und weil ich Menschen nicht über deren Beruf oder Talent definiere. Vor dem, was Michel erreicht hat, habe ich aber grossen Respekt. Er ist nach wie vor mein Lehrer, der vielmehr weiss und kann als ich.


Was macht für Sie der Mix aus Comedy und Zauberei aus?

Ich finde es fast frech, nur zu zaubern. Ich möchte dem Gegenüber nicht das Gefühl geben, dass ich etwas kann, was er nicht kann. Vielmehr möchte ich meine Zuschauer wieder Kind werden lassen. Deshalb erzähle ich zum Trick auch noch eine wahnsinnig tolle Geschichte.


Auf der Bühne verwandeln Sie sich in den «Erwin aus der Schweiz». Wie kam es dazu?

Am Burgtheater in Wien gab es aufgrund eines Planungsfehlers einen freien Abend. Sie suchten junge Talente, doch eigentlich wollte ich einen Rückzieher machen. Da waren 1200 Zuschauer, ich hatte Angst. Dann habe ich all meine Zaubertricks und mein Schweizer Deutsch reingepackt und habe es einfach probiert. Der Auftritt dauerte nur zehn Minuten, doch er kam mega verrückt an.


Wieviel von Marc Haller steckt in Erwin?

Schon sehr viel. In jedem von uns steckt doch ein gutmütiger Tollpatsch, wir alle haben Unsicherheiten, die wir nicht zeigen wollen. Als Schauspieler denkt man, viele verschiedene Masken anziehen zu müssen, doch eigentlich ist es ein Demaskieren. Ich muss waghalsig sein und in allen Rollen möglichst nahe an mich und an meine Emotionen herankommen.


Ist der Erwin auch ein wenig zum Selbstschutz entstanden?

Das war sogar der Hauptgrund. Ich wollte nicht einer von jenen Comedians sein, die mit ihrem Namen jahrelang auf YouTube rumschwirren, weil sie schlecht performt haben. Ich möchte mich und meine Familie schützen, deshalb bin ich seit dem Jahr 2012 der Erwin, auch hinter der Bühne.


Gibt es bei der Verwandlung ein Ritual?

Es ist ein Prozess, für den ich mir eine Stunde Zeit nehme. Dabei möchte ich keinen Stress. Umziehen, schminken, in diese Figur hineinkommen – das ist das Ritual. Wenn ich als Marc mega nervös ankomme, schwindet die Nervosität, sobald ich Erwin bin, weil eben dieser Schutz da ist.


Oft wirkt ein Zaubertrick zu Beginn lapidar, ehe Sie im weiteren Verlauf Ihr Können zeigen. Überraschen Sie damit Ihre Zuschauer?

Das ist u-spannend. Es gibt Phasen, in denen ich viel unterwegs bin, wie etwa mit dem Circus Knie. Dann bin ich auch medial mega präsent, alle wissen, was sie bei mir erwarten können. Dazwischen, wenn es ruhiger ist, fragen sich die Zuschauer manchmal zu Beginn aber schon: Was ist denn das? (lacht). Andererseits gibt es Leute, die mich als Marc Haller kennenlernen, und mich wegen Erwin in anderen Kompetenzbereichen nicht so ernst nehmen.


Konkret?

Ich bin Helikopter-Pilot, doch sie wollen nicht mit mir fliegen. Ein Helikopter-Pilot sollte wohl kein Comedian sein, ebenso wie ein Arzt keine Witze machen sollte. Dabei ist es doch grossartig, wenn kompetente Menschen Humor haben.


Ist das ein Teil Ihres Konzepts? Der unterschätzte Schussel, der sich als grosser Zauberer entpuppt?

Auf jeden Fall. Ich setze auf die Guerilla-Taktik, ich komme von hinten und tue das Unerwartete. In dieser Hinsicht verkörpere ich die klassische Clownfigur. Ich stolpere, komme aber trotzdem ans Ziel und gewinne auf eine unvorhersehbare Art.


«Ich wusste immer, ich will Leute

berühren, ich weiss, dass ich das kann.

Den Respekt muss ich mir aber immer

wieder neu arbeiten.»

-Marc Haller


Wunderbares gab es bereits bei Ihrer Geburt, Sie haben zwei Drillingsbrüder. Sind diese auch magisch unterwegs?

Nein, sie machen etwas völlig anderes. Beide sind technisch begabt. Einer ist Ingenieur, der andere Informatiker. Bevor mein Computer zum Fenster hinausfliegt, helfen sie mir.


In Ihren Spässen erwähnen Sie oft Ihren Grossvater. Wie er im Rotlicht- Milieu erwischt wird, Witze über Lehrer macht oder abschätzig über die Ehe spricht…

Ihn nehme ich bewusst rein. Er ist eine mega starke Figur, der für alle Mitglieder in der Familie steht. Leider hat er mich nie spielen sehen, er ist bereits gestorben. In meinem Programm geht es indirekt auch um Vergänglichkeit, mit der ich nicht klar komme, sie macht mich sehr traurig. Generell finde ich, dass der Tod in der Gesellschaft leider weiterhin ein Tabu-Thema ist.


Kamen irgendwann Zweifel auf, dass Ihr Weg der richtige ist?

Zweifel gehören dazu. Doch ich wusste immer: Das ist mein Weg, ich will Leute berühren, ich weiss, dass ich das kann. Den Respekt muss ich mir aber immer wieder neu arbeiten. Die Auszeit während Corona machte mir dabei klar, wie verletzlich ich bin.


Weshalb?

Als junger Familienvater hatte ich nur die Schauspielerei im Rucksack, plötzlich lieferte ich Kisten für die Firma meines Bruders aus. Kaum einer wünschte mir einen guten Morgen. Ich stellte fest, wie stark Menschen nach Berufen beurteilt werden. Das machte mich nachdenklich. Behandle ich den Pizzaboten oder die Putzfrau in der

Schule auch wie Unsichtbare?


Im Circus Knie waren Sie auf einer grossen Bühne sichtbar. Was war anders als im Kleintheater?

Alles! Ein Zirkuszelt ist wie eine Baustelle, man spürt den Wind und das Wetter. Die Acts der anderen Künstler sind so stark, dass man selbst krass viel Energie reingeben muss, damit man nicht abfällt. Wenn einer vorher einen 20-fachen Salto gesprungen ist, erwarten die Zuschauer auch von Dir etwas. Keiner kam nur wegen mir, ich

musste schnell auf den Punkt kommen und ein breitgefächertes Publikum im 360-Grad-Winkel bedienen. Viele Tricks fallen dadurch schon weg. (schmunzelt)


Ihr Fazit?

Mega schön. Ich konnte die Leute abholen. Auch meine Frau und meine Tochter konnten den zigeunerhaften Alltag im Wohnwagen miterleben.


Ihre 5-jährige Tochter Suvi soll Ihre grösste Kritikerin sein…

Sie hatte es sich so gewünscht, dass ich an ihrer Geburtstags-Party vor ihren Freundinnen auftrete. Doch es war der Horror. Sie sagte, dass ich zu viel rede, dass ich langweilig sei. Ich muss ihr recht geben (lacht). Ich bin eher ein Clown für Erwachsene, nicht für Kinder. Wenn eine Nummer zu Hause funktioniert, weiss ich, dass sie zu

99,9 Prozent auch auf der Bühne klappen wird.


«Der Erfolg hat für mich mittlerweile

eine andere Definition: Gesund sein,

Zeit mit der Familie verbringen,

Freude am Leben haben.»

-Marc Haller


Wie gehen Sie generell mit einer missglückten Show um?

Nicht so gut, weil ich selbst das Produkt bin und nackt dastehe. Doch es wird von Jahr zu Jahr besser. Meine Frau ist für mich da, wie ein Coach baut sie mich auf. Am Ende ist mein Erfolg eben eine Geschmackssache des Publikums.


Im Zelt sind Sie derzeit mit dem Magic Club auf Tour, gemeinsam mit Gammenthaler, Peter Marvey und dem Duo Sonambul. Auf was dürfen wir uns freuen?

Auf ein hohes Niveau und vier komplett verschiedene Arten von Zauberei. Wer Zauberei mag, wird einen tollen Abend erleben, sie wird in all ihren Facetten präsentiert. Und ich bringe noch etwas Comedy rein.


Was ist das Schönste an Ihrem Beruf?

Eine Traumwelt zu entwickeln. In den letzten 15 Jahren habe ich gemerkt, dass ich gar nicht so ein Bühnenmensch bin. Es reizt mich immer mehr, hinter der Bühne etwas zu konzipieren.


Lassen Sie sich deshalb an der PH Luzern zum Sekundar-Lehrer ausbilden?

Die Schulleitungs-Ausbildung habe ich schon gemacht, nun möchte ich meinen Rucksack in dieser unsicheren Welt weiter mit etwas völlig anderem bepacken. Leute zum Lachen bringen und als Lehrer oder Schulleiter die Welt der Kinder im Kleinen zu verändern, finde ich sehr spannend. Das eine schliesst das andere nicht aus.


Welche Träume haben Sie noch?

Mein Kindheitstraum, wie Michel vor 100 Leuten aufzutreten, ging in Erfüllung. Doch der Applaus ist vergänglich, viele Künstler gehen danach alleine nach Hause. Der Erfolg hat für mich mittlerweile eine andere Definition: Gesund sein, Zeit mit der Familie verbringen, Freude am Leben haben, irgendwann wieder Helikopter fliegen – das ist mein Traum.


Interview: Stephan Santschi, Bild: zVg.

 
 
 

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