top of page

«Ich spüre nichts von diesen Gräben»


Patti Basler

Bühnenpoetin I Kabarettistin I Autorin

Patti Basler bringt die Bodenständigkeit einer Bauerntochter von der Heu- auf die Show-Bühne.

Die ehemalige Lehrerin und studierte Erziehungswissenschaftlerin schreibt und ist auf den Bühnen im deutschsprachigen Raum unterwegs.


Ich komme vom Land. Das behaupten in der Schweiz selbstverständlich alle. Und es stimmt. Selbst unsere Grossstädte sind verglichen mit Weltstädten bloss Kuhdörfer. Wer Los Angeles beispielsweise zu Fuss durchquert, hätte in Europa den ganzen Jakobsweg hinter sich gebracht. Als ich einst in Irland mit einem jungen Mann aus Los Angeles die grünen Weiden der Insel erkundete, erklärte er mir im breitesten Westküsten-Slang: «Those are cows. This ist hay. Cows eat hay and then they make the milk we buy at the supermarket.» Ich lachte und erklärte ihm, ich sei vom Land. Wirklich vom Land. Ich sei mit Kühen aufgewachsen und hätte direkt von ihren Zitzen getrunken. Körperwarm. Dass es Milch auch gekühlt im Supermarkt gebe, hätte ich erst im Schulalter gelernt.


Ich komme vom Land und damit meine ich nicht ein Dorf, wo die Kirche steht, sondern einen Bauernhof im Grünen ohne Nachbarn, nur mit Kühen, Katzen und Kinderarbeit. Meine Hüpfburg waren Strohballen, mein Fastfood waren die Obstbäume, mein ÖV war die Nachbarin, die mich mit dem Traktor ein Stück mitnahm. Meine Street Parade war der Alpabzug mit Treicheln und Kopfputz der Leitkuh.


Abends mussten wir nicht den Kotz-Pfützen auf der Langstrasse ausweichen, sondern den Kuhfladen auf der Landstrasse. Nachts jagten wir nicht eine feine, gerade Linie weissen Pulvers mittels Hunderternote in die Nase, sondern einen unordentlichen Haufen braunen Schnupftabaks mittels selbst gebauter Schnupfmaschine. Statt Rohrschachtests beim Psychologen werteten wir das symmetrische Bild auf dem Schnuderlumpen aus. Als höchste Anerkennung für einen guten Witz oder ein nettes Wort sagten wir nicht: «Du hast mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert», wir sagten: «Wäge dir isch mir fascht de Stumpe us de Schnorre gheit.» Und das finde ich wunderbar.


Inzwischen wohne ich in der Kleinstadt und reise für Auftritte aufs Land oder in Grossstädte: Berlin, Hamburg, Wien, Niederwenigen. Und ich muss unzählige Gräben überwinden, welche zwischen dem Land und der Stadt bestehen, Gräben, wie damals im Mittelalter, Gräben, welche die Schmarotzer-Städter offenbar ausgehoben hätten, um die gebeutelte Landbevölkerung abzuhalten. Oder umgekehrt, Gräben, die mit Pestizid und Gülle gefüllt seien, damit die steuerzahlenden Städterinnen am Reichtum der subventionsgschwängerten Landbevölkerung nicht teilhaben können. Über diese Gräben flögen von der einen Seite Vorwürfe und Impf-Spritzen, von der anderen Seiten höre man die Treicheln so ohrenbetäubend laut schallen, dass miteinander Reden gar nicht mehr möglich sei.


Allein: Ich spüre nichts von diesen Gräben. Da gibt es weniger zu überbrücken als bei einer leeren Traktoren-Batterie. Die Städte sind ohnehin längst voll mit Landeiern, Zürich besteht aus Rüebli mampfenden Aargauerinnen und Äpfel kauenden Thurgauern, Basel ist das neue Fricktal, Genf das neue Wallis und in Baden wohnt halb Obersiggenthal. Auf dem Land hingegen wohnen Städter, die Höhenluft suchen oder Tiefmieten. Und alle zusammen haben dieselben Sorgen und Ängste: Pandemie und Politik, Geld und Gesundheit, Familie und Freundschaften, Klima und Klimakterium. Die vermeintlichen Gräben sind nur herbeigeredet. Denn Gräben auszuheben lohnt sich nur für die Leute, die danach Brücken bauen. Nur um Brückenzoll zu kassieren. Doch Brücken sind zum Glück gar nicht nötig. Wir reisen fröhlich von Stadt zu Land und umgekehrt, wir teilen Eindrücke, Erfahrungen und Schnupftabak und sind uns einiger, als dies die Spaltpilze gerne hätten.


Nur die Kirche, die sollte im Dorf bleiben, die Eglise im Village, die Chiesa im Villagio und ihre Glocken müssen auch nicht unbedingt lauter klingen als die Treicheln der Leitkuh beim Alpabzug.


Die Geschichte ist in der Winder Edition von LANDxSTADT al sKolumne erschienen.


bottom of page