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«Wir nehmen lieber den Irrweg»

Urs Wehrli (53) und Nadja Sieger (54) gehören zum Inventar der Schweizer Comedy-Szene, seit 36 Jahren beglücken sie als Ursus & Nadeschkin das Publikum. Im Interview sprechen sie über ihre Anfänge, nervige Trends und eine wunderschöne Villa voll neuer Ideen.


Text: Stephan Santschi Bild: Geri Born


Ihr wart Teenager, als ihr 1987 das Duo Ursus & Nadeschkin gegründet habt. Wie kam es dazu?

Nadeschkin: Wir meldeten uns in den Sommerferien unabhängig voneinander zu einem Zirkuscamp für Teenager in Wiesbaden an.

Ursus: Wir kannten uns nicht, Nadja kommt aus Zürich, ich bin Aargauer. Es entstand eine Schicksalsgemeinschaft, es war Zufall. Dieses Ferienlager war nämlich sehr langweilig.

N: Der Veranstalter führte den Kurs zum ersten Mal durch, wusste nicht wirklich, wie man das macht. Ausserdem waren die Räumlichkeiten zu eng für uns alle. Deshalb haben wir stundenlang geschwänzt und uns Jonglieren, Einradfahren und Breakdance selbst beigebracht. Nach fünf Tagen hatten wir im ZDF einen Auftritt als Artisten im Hintergrund einer Morgensendung. Der Kursleiter meinte: «Ihr könnt nichts, ihr macht die Clowns!», und setzte uns die Clownnase auf.

U: Danach trafen wir uns regelmässig zum Proben und weiteren Strassenauftritten in Zürich. Daraus erfolgten erste Engagements an Geburtstagspartys, Vernissagen und nach drei Jahren gelang uns der Sprung auf die Theaterbühne. Wir wuchsen sehr organisch, stolperten durch alle Türen, die nach und nach aufgingen.


Nun sind 36 gemeinsame Jahre draus geworden. Wie fühlt sich das an?

U: Ziemlich surreal, abstrakt, eigentlich will ich von dieser riesigen Zahl nichts wissen. Es fühlt sich an, als wäre man alt und ein gestandener Künstler. Dabei wollen wir weiterhin erfrischend jung auftreten und jeden Tag überraschen.

N: Wir sind mit Leidenschaft dabei, knechten uns nicht, lassen uns Freiheiten. Wir haben keinen Vertrag, arbeiten auf Handschlag, haben ein Urvertrauen zueinander. Wenn es Schwierigkeiten gibt, lassen wir nichts anbrennen, sondern klären sie.

U: Bevor wir auf die Bühne gehen, müssen wir uns einig sein. Wir improvisieren viel, dafür brauchen wir einen freien Kopf. Sonst wären wir gehemmt.


Auf welche Weise ergänzt ihr euch?

U: In ganz vielem. Grundsätzlich leben wir aber davon, dass wir sehr gegensätzlich sind, darin liegt unser Potenzial. Wir sind Sturköpfe, bleiben gerne an etwas dran und scheuen keine Schwierigkeiten.

N: Wir reagieren auf alles unterschiedlich. Wir suchen nicht die Harmonie, sondern die Spannung, experimentieren gern. Und wir sind nicht geldgesteuert! Wir machen, was uns gut tut, wie etwa das Konzerttheater «Im Orchestergraben», mit dem wir im September auf Tour gehen. Diese Produktion ist sehr teuer, risikoreich, aber wunderschön. Wir denken nicht ökonomisch, entscheiden aus dem Bauch heraus. Das haben wir von Anfang an so gehandhabt.

U: Wir lassen uns von der Inspiration leiten, treten aus Freude und nicht zu einem bestimmten Zweck auf. Das ist ein Grund, warum es uns schon so lange gibt. Kollegen gehen an Galas, treten an Wirtschaftsanlässen auf. Wir machen das nicht mehr, obwohl wir viel Geld verdienen könnten. Weil wir uns verbiegen müssten.


Wer inspiriert euch für die «Chiflete» auf der Bühne? Laurel und Hardy vielleicht?

N: Wir chiflen nicht, wir reden nur sehr genau. Wir sehen die Welt aus anderen Perspektiven, versuchen uns gegenseitig zu überzeugen, sind aber nie respektlos.

U: Wir sind pingelig und stur. So entstehen chaotische Dialoge. Der Vergleich mit Laurel und Hardy kommt dem eigentlich sehr nahe. Die beiden waren in erster Linie dicke Freunde, gingen bei der Lösung eines Problems auch gerne andere Wege.

N: Wir spielen keine Schauspielfiguren, die sich entwickeln, wir sind Clowns, die sich in null Komma nichts in die unwegsamsten Situationen manövrieren und dabei nicht wirklich gescheiter werden. Mal sind Ursus & Nadeschkin im Zirkus, mal im TV, im Konzertsaal oder Theater, wo sie zum Beispiel beim Versuch, Romeo und Julia zu spielen, fröhlich scheitern.


Auf die oft gehörte Frage, woher ihr eure Ideen nehmt, antwortet ihr spasseshalber: Bei einem schwedischen Detailhandel. Ist jeweils klar, wer von euch welches Produkt bestellt?

U: (schmunzelt). Wir schreiben unsere Stücke nicht am Tisch wie Autoren, wir nehmen ein Thema und schauen, wohin es führt. Während Monaten wird es immer verästelter, bis es zu viel wird und wir mit unserem Regisseur Tom Ryser das Material auf die Hälfte schrumpfen müssen. Manchmal bringe ich eine Idee ins Team ein und muss später feststellen, dass wir etwas ganz anderes daraus gemacht haben. Wenn wir zu Beginn der Probe beispielsweise in den Wald gehen und einen Baum umsägen, kann es vorkommen, dass wir schliesslich mit einem Luftballon nach China fliegen.

N: «Wie kommt man denn auf sowas?» werden wir oft gefragt. Ich glaube, wir produzieren einfach gerne umständlich, nehmen lieber den Irrweg.

U: Umständlich ist ein super Stichwort, damit verkörpern wir das Gegenteil von der, auf ein Bruttosozialprodukt ausgerichteten Wirtschaft. Unsere Stücke leben vom Umständlichen. Nach zwei Stunden sind wir keinen Schritt weiter, das ist das Clowneske, das Unterhaltende.

N: Dabei ist es nicht so, dass wir nichts zu sagen haben. In unserer neusten Produktion «Der Tanz der Zuckerpflaumenfähre», sind Ursus & Nadeschkin erstaunlich poetisch, verspielt und hoffnungsvoll, gerade weil aktuell die Welt relativ tough, voller Krieg und Krisen ist.


Wie hat sich die Schweizer Comedy-Szene entwickelt?

N: Sie ist schriller, schneller und lebendiger geworden. Der Humor ist heute geprägt von dem, was in kurzen Videos funktioniert, was die Vielfalt immer mehr einschränkt. Vieles, das live begeistert, langweilt, wenn man es auf dem Handy schaut. Entsprechend entwickelt sich unsere Livekultur zum Einheitsbrei. Oder bin ich zu negativ, Urs?

U: Durch die Digitalisierung hat sich vieles komplett verändert. In Kultur und Comedy kann man heute mit Kurzvideos ganz viele Leute erreichen. Die Tiktok-Generation spült eine neue Szene an die Oberfläche. Ob es live auf der Bühne klappt, ist nicht wichtig, es geht um Kurzfutter, nicht um ganze Programme. Da ist Lustiges dabei, aber auch vieles, das mich wenig begeistert.

N: «Freddie» – Die Mundartshow» mit Adrian Stern, Frölein Da Capo, Roman Riklin und Daniel Schaub wurde 2022 zur besten Produktion der Schweiz gekürt, war live grossartig, funktionierte aber im Fernsehen kaum... Wer also via Bildschirm zwischen gut und weniger gut entscheidet, wird diese Produktion niemals entdecken. Das ist extrem schade. Ausserdem: Die Leute gehen viel weniger aus, um Neues zu entdecken. Die Theater haben seit der Pandemie 40 Prozent weniger Auslastung!


Ihr habt die «Lizenz zum Allesmachen». Gibt es auch Tabus?

U: Was wir nicht interessant finden, machen wir nicht. Wie etwa dieses neue amerikanische Gefäss des Comedy Roast, wo sich Comedians gegenseitig fertig machen. Es gibt Leute, die finden das zum Schreien komisch, mir schlafen dabei die Füsse ein. Auch tagespolitische Themen behandeln wird nicht. Uns macht es keinen Spass, uns über Alain Berset oder Guy Parmelin lustig zu machen.

N: Unsere «Lizenz zum Allesmachen» bezieht sich auf unseren dadaistischen Ideenreichtum. Manchmal begreifen wir selber nicht, wie wir mit unserem absurden Humor ein solch grosses Publikum halten können. Wir freuen uns einfach, dass es geht. Man muss sich heute mehr erneuern, Wiederholung ist weniger gefragt. Grock etwa zeigte seine 40 Minuten im Zirkus, Dimitri spielte drei abendfüllende Programme. Wir entwickelten bereits 10 abendfüllende Theaterstücke, 20 Theater-Varietés, moderierten 10 Jahre lang Arosa. Ein grosser Output, die Welt ist schnelllebiger geworden.

U: Wir haben sozusagen in einem Zelt voller Ideen begonnen, dann kam ein Aussenzelt dazu, später ein Haus mit immer mehr Türen und Räumen. Heute befinden wir uns in einer mehrstöckigen Villa mit vielen verwinkelten Bereichen.


Zu eurem Erfolg gehört auch, dass ihr eigene Projekte verfolgt.

U: Nach eigenen Projekten geht man entspannter zurück in die Duo-Arbeit. Alle, die zu zweit etwas machen, werden dies unterschreiben. Ich schreibe Bücher, zeichne, fotografiere, die stille Kunst ist mein Ausgleich…

N: … während ich ein Tanzfüdli bin. Ich liebe Bewegung, lernte zuerst Electro Boogie, Breakdance, Standardtänze, Lindy Hop, Charleston und, und, und… Ich beschäftige mich mit Ober- und Untertongesang, erkunde meinen Körper, und entdecke so auch mit über 50 neue Talente.


Ursus, Ihr neustes Buch ist eine grossartige Zusammenstellung unnützer Dinge. Wie kam es dazu?

U: Es gibt so viele Kataloge voller Dinge, die man nicht braucht, das fasziniert mich. Ich sammle auch Sachen, zum Beispiel aus dem Brockenhaus, bei denen ich nicht weiss, wofür sie sind. Ich hinterfrage gerne die Dinge, stelle sie auf den Kopf, das machen wir auch im Duo, wo nicht alles Sinn machen muss. Wir wehren uns dagegen, dass alles einen Zweck zu erfüllen hat.


Wo sehen Sie sich in 24 Jahren?

U: Wieso in 24?

N: Weil wir dann unser 60-Jahr-Jubiläum feiern. Kürzlich stand ich mit Franz Hohler auf der Bühne, dabei erhielt ich einen schönen Einblick, was mit 80 noch möglich sein könnte.

U: Wenn wir unsere Lockerheit, Selbstironie und Leichtigkeit wahren können, freue ich mich wahnsinnig auf das Alter. Die Software, also mein Geist, wird immer reicher, die Hardware allerdings, der Körper, der nutzt sich ab.


Sie hören oft die gleichen Fragen. Gibt es zum Schluss eine, die Sie gerne mal gestellt bekämen?

U: Sie haben das gar nicht so schlecht gemacht. Ich habe von Nadja Dinge gehört, die ich nicht kannte, und sogar von mir selber Sachen erfahren, die ich noch nicht wusste (schmunzelt). Im Idealfall lerne ich wie jetzt in einem Interview dazu. Was ist mit Dir, Nadja, willst Du noch etwas gefragt werden? Vielleicht wie viele Kinder Du noch willst?

N: Ähm. Nein.

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